Felix Karlinger Ein vermittler zwischenden kulturen

Felix Karlinger Ein vermittler zwischenden kulturen
Postfazione al libro
Felix Karlinger – Studien zur ethnomusikologie und volksliteratur sardiniens

2003


Im Verlauf meiner Forschungen über das sardische Volkslied wurde mir in den Achtzigerjahren des 20 Jahrhunderts vom Besuch «eines Deutschen» in meinem Geburtsort berichtet. Einzelheiten über jenen Tag zu erhalten, den Namen des Besuchers in Erfahrung zu bringen und sich dazu seine Physiognomie, sein Gesicht oder sein Aussehen vorzu-stellen, ist mir nicht möglich gewesen. Abgelenkt von anderen Be-schäftigungen für nur ein paar Minuten, gelang es den Zeugen nicht, mir etwas anderes zukommen zu lassen als das Berichtsmaterial über ein kleines Ereignis, von dem sie, betrachtet man es aus der Distanz von fünf Jahrzehnten, nur die nackte Wesentlichkeit berichteten: «In den Fünfzigerjahren war ein Herr mit einem kleinen Esel auf dem Kirchplatz angekommen. Er hatte uns gebeten, ihm beim Abladen einer Maschine zu helfen, die sich auf dem Rücken des Tieres befand. Wir trugen diesen komplizierten Mechanismus in den Glockenturm. Er erklärte uns, dass es sich ein Tonbandgerät handelte, während er ein langes Mikrophon-kabel ordnete, das er von oben herabhängen ließ, und an dessen Ende sich ein Mikrofon befand. Er musste den Canto a Tenore aufnehmen». Ich fragte mehrfach nach dem Namen des Besuchers, erhielt aber lediglich die Antwort: «Es war ein Deutscher!». Ich versuchte zu er-fragen, wer die Sänger gewesen seien, die an den Tonbandaufnahmen im Glockenturm teilgenommen hatten, aber ein dichter Schleier des Vergessens verdunkelte die Erinnerung der Zeugen. Dem Erscheinen eines Artikels mit der Unterschrift von F. Karlinger in den folgenden Jahren ist es zu verdanken, dass ich die Identität jenes Forschers in Erfahrung bringen und mich auf die Bekanntschaft mit einer Person vorzubereiten konnte, die die eigene Forschung auf zahlreiche Er-scheinungsformen der sardischen Volkskultur gerichtet hat.

Eine Überlegung von Felix Karlinger in jenem Artikel hat nach und nach dazu beigetragen, dass sich meine Untersuchungen zunehmend auf die Musik der Insel, die Volkserzählung, den Tanz und die sardische Dichtung konzentrierten. Wie sich doch die Art des Singens, wie er es in den Fünfzigerjahren gehört und studiert hat, von der Art unterschied, welcher die Sänger aus den gleichen Dörfern in den Achtzigerjahren folgten! Faktisch handelte es sich um die Feststellung, dass auf dem Gebiet der menschlichen Sprachen nichts fest und unverändert bleibt.

Nun folgt eine kurze, vergleichende und synchronische Darstellung der instrumentalen und vokalen Mehrstimmigkeit Sardiniens par excellence: die Launeddas und der Canto a Tenore. Eine kleine Bronzeskulptur, etwa aus dem 7.-9. Jahrhundert vor Christus, stellt in unmissverständ-licher Art und Weise eine Person dar, die ein aus drei Rohren be-stehendes Instrument, spielt. Nach Meinung der Archäologen handelt es sich hierbei um die Launeddas, welche als Symbol der Musik der Insel auch heute noch gespielt werden.

Das Instrument der Armen, hergestellt aus Schilfrohr, das immer in der Nähe von Quellwasser wächst, konnte von den Jüngsten bis hin zu den Erwachsenen leicht hergestellt werden, in einer Wirtschaft, in der das Wissen, wie man aus Naturmaterialien Gegenstände herstellt, zwei Grundbedürfnisse beantwortet: Zum Einen das Realisieren von hand-werklichen Produkten als Abbild der körperlichen Leistungsfähigkeit des Menschen, zum Anderen das Aushalten mit der Zeit, die in der Ein-samkeit auf den Weiden verbracht wird. Man wird nie den Grund wissen, der die Sarden dazu veranlasst hat, eine instrumentale Mehr-stimmigkeit statt eines einzelnen Instrumentes zu wählen. Es sei denn, man untersucht die zwei Bedürfnisse, auf die das künstlerische Schaffen Bezug nimmt, gründlicher. Das Zweite ist verständlich: Beim Hüten der Herden auf der Weide ist man von Stille umgeben, die nur durch die Anwesenheit von Naturelementen und die Sprache der Pflanzenwelt unterbrochen wird. Man verfügt über viel Zeit, sich diese anzueignen. Das erste Bedürfnis verweist auf zwei Charakteristika des weltlichen Menschen: Die Fähigkeit, plötzlich auftretende Probleme einfach und nützlich zu lösen, erlaubt es dem Individuum, Primärbedürfnisse zu be-friedigen und damit eine Basis zu finden, um auf zwingende Not-wendigkeiten zu antworten. Die Kreativität ist dagegen ausgerichtet als Erzeugung ex nihilo, aber auch als Imitation existenter Modelle, die es zu korrigieren und zu übertreffen gilt.

Wenn wir es als möglich betrachten würden, ein so einfaches und vollständiges Instrument wie die Launeddas aus dem Nichts heraus zu erschaffen, würden wir uns vor einer der größten Erfindungen der Menschheit wiederfinden. Vielleicht ist es für uns Nachkommen der aufklärerischen Bildung günstiger, sich an die Dimension der Kopierens und Imitierens zu halten, Vorgänge, denen die Japaner das Verb «er-schaffen» zuschreiben.

Aber welches vorher bestehende Modell imitierten oder kopierten die Launeddas? Die Nuraghenkultur, die jene Bronzeskulptur hervor-gebracht hat, hat keine Schriftdokumente hinterlassen, die uns über die Gebräuche und Sitten jener Epoche aufklären könnten. Nur die dedukti-ve Methode kann uns zu sprachlichen Elementen aus dem Substrat des Nuraghenzeitalters führen.

Tumbare una voche, tumbare unu ballu sind Gesangsübungen. Sie bedeuten ‘singen, zum Tanz singen’. Der Wortstamm tumb hat heute tonsymbolischen, onomatopoetischen Wert. Es bezeichnet das dumpfe Geräusch, wenn zwei Körper zusammenprallen, vielleicht entstanden aus dem Zusammenprall von Hörnern bei den auf der Insel lebenden Tieren – beispielsweise Hirsche, Mufflons, Ziegen, wenn Sie um die Vorherrschaft im Rudel kämpfen oder bei bevorstehenden Regen damit ihre Unruhe ausdrücken. Tumbu heißt das längste Schilfrohr der Launeddas. Es erzeugt einen versetzten Ton, der als stetiger Bass fun-giert und die Tonika vorgibt. Es ist der gleiche Ton, der in dem Canto a Tenore von der gutturalen und nasalen Stimme des Basses erzeugt wird. In einigen Dörfern der Insel wird dieses Geräusch, wie auch die Stimme, die es erzeugt, Borro genannt, was ‘muhen’ bedeutet.

Die andere tiefe Stimme des Canto a Tenore nennt sich Contra. Im Unterschied zum Basso, der einen nasalen Charakter hat, ist ihre Aus-strömung ausschließlich guttural. Deshalb ist sie in ihrer strukturellen Qualität freier und kreativer als die Stimme des Basses.

Das zentrale Schilfrohr der Launeddas heißt Mancosa, und auch dieses, im Vergleich zum Schilfrohr Tumbu, ist im Klang müheloser, leichter. Die Mancosa gibt die Quinte vor und bildet einen bemerkens-werten Kontrapunkt zum Schilfrohr Tumbu.

In einigen Dörfern der Insel wird die Vereinigung der zwei gut-turalen Stimmen des Bassos (Bass) und der Contra zum Ochsenjoch in Bezug gesetzt, das Cropa heißt. Der gleiche Ausdruck wird für die Vereinigung der Tumbu und der Mancosa verwendet.

Das dritte Schilfrohr der Launeddas heißt Mancosedda, es ist mit Sicherheit freier als die zwei vorherigen und gibt die Oktave vor. Auch im Canto a Tenore ist die Stimme Mesu-Voche von stimmlicher, schar-fer Natur, sie bewegt sich leichter in der Bildung von Verzierungen auf dem Schattengefüge der zwei gutturalen Stimmen.

Strukturell sind die drei Schilfrohre der Launeddas folgendermaßen aufgebaut: Die Tumbu besteht aus einem ersten Rohr, in das ein zweites Rohr gesteckt wird, um ein einziges, sehr langes Rohr zu bilden. Auf das äußerste Ende wird ein Mundstück aufgesteckt, das ein Rohrblatt aufweist. Das Mundstück wird in das erste Rohr gesteckt und durch Pech oder Wachs fixiert.

Die zwei verbleibenden Rohre werden jeweils aus einem einzigen Rohr gefertigt, in die das Mundstück mit dem Rohrblatt gesteckt wird. Beide weisen je vier rechteckige Löcher auf. Am oberen Ende des Rohres wird ein Loch gebildet, man nennt es Arrefinu.

Die Rohre des Tumbu und der Mancosa werden von zwei mit Pech versehenen Schnurbindungen zusammengehalten, während die Manco-sedda frei ist und von der rechten Hand gehalten wird.

Auch die drei Stimmen des Canto a Tenore werden um die Solisten-stimme herum vereint. Diese singt eine poetische Botschaft, die aus ver-schiedenen metrischen und strophischen Strukturen zusammengesetzt ist, von denen dann die Melodie abhängt, der die anderen folgen wollen.

Die Zerlegung der Stimmen und der Schilfrohre, von denen wir ausgegangen sind, bietet sich aus Gründen der Anschaulichkeit an, und keinesfalls nur, um eine Theorie der archaischen Datierung aufrecht-zuerhalten. Sicher würde es uns Sarden gefallen, bekräftigen zu können, dass die instrumentale und vokale Polyphonie ihren Geburtsort auf Sardinien hätte, aber Schlussfolgerungen dieser Art können die Archäo-logen ziehen. Die Ethnomusikologen beschränken sich auf die Be-trachtung des Hier und Jetzt. Ich behaupte, dass dies eine schwer-wiegende Einschränkung ist und deshalb beschränke ich mich auf die Rolle des Ethnologen und weniger auf die des Musikologen. Meiner Ansicht nach ist es möglich, alle Aspekte zu erfassen, welche die Erscheinungsformen der Kultur meines Landes ausmachen: Die gleich-zeitige Anwesenheit von ähnlichen Sing- und Instrumentalformen, in ihrer Verschiedenartigkeit die gleiche ausführende Praxis, gemeinsame Begriffe in beiden Mehrstimmigkeiten.

Das fehlende Glied, welches die These einer wahrscheinlichen Archaizität beider Formen bestätigt, ist vor allem die gemeinsame Ter-minologie. Die Worte lassen sich keiner Zeit zuordnen, obwohl sie in beiden Formen gleich verwendet werden. Sie entziehen sich der ge-schichtlichen Datierung. Sowohl der Ton als auch die Vokabeln eignen sich nicht für eine abschließende Klassifikation der Epoche. Ton und Wort leben in der ästhetischen Dimension, welche die Art der An-wendung in der Wertschätzung und im menschlichen Geschmack begründet. Die Dauer misst sich an der Fähigkeit, einen Genuss her-zustellen. Solange dies andauert, welche Rolle spielt da noch ihre Ent-stehung?

Gewiss, sowohl das Spiel der Launeddas als auch der mehrstimmige Laiengesang werden auch heute noch vom Volk praktiziert und finden breite Anwendung in den verschiedensten Momenten des Gemein-schaftslebens, beispielsweise in den gemeinsamen Tänzen.

Bis in die Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts haben die Launeddas eine Einnahmequelle für die Spieler dargestellt. Im Süden der Insel wurde auf der Piazza getanzt und die Tanzpaare bezahlten den Spieler mit Korn oder anderen Produkten der typischen Alltagsarbeit. Auf diese Art und Weise kamen sie für den fehlenden Verdienst der musikalischen Tagelöhner auf. Unter den 52 Melodien der Launeddas ist ohne Zweifel die Punt’e organu mit am bedeutsamsten. Sie ist eines der Basiskonzerte des mehrstimmigen Instruments und ein (beliebtes) Mittel, um die Stimmlagen der Launeddas zu überprüfen. Ihr Tempera-ment wird schon durch die Stärke der ausgewählten Schilfrohre fest-gelegt. Deshalb kann sie auch mehreren verschiedenen Tonlagen folgen. Das Geheimnis, dieses Instrument spielen zu können, liegt in der Fähig-keit, den Atem während des Blasens in die Rohre in einem konstanten Fluss zu halten und gleichzeitig durch die Nase einzuatmen.

In Zentralsardinien war die Anwesenheit von vier männlichen Stim-men zur musikalischen Begleitung des Tanzes die Garantie für die demokratische und kostenlose Teilnahme der Bürger, gleich, welches Vermögen sie hatten. Man tanzte nicht an jedem Tag im Jahr, sondern nur zu den festgelegten Festen, die an wichtige Abläufe in der Land-wirtschaft oder an den Kirchenkalender gebunden waren.

In den religiösen Riten haben die Launeddas immer noch eine wichtige magisch-rituelle Funktion. Ihr Ton begleitet die Prozession des Allerheiligsten außerhalb des Gotteshauses, in dem es das Jahr über aufbewahrt wird.

Bei religiösen Riten begegnen wir auch einem anderen Ausdruck der sardischen Mehrstimmigkeit: Die Cuncordu. Von der Struktur her ge-sehen liegt sie nahe beim Canto a Tenore: Sie setzt sich aus vier Stim-men zusammen, die wie jene der Tenore bezeichnet werden und auch identische Stimmlagen aufweisen.

Der ausgeprägteste Unterschied zeigt sich auf der Ebene der Klang-farben: Solostimme und Mesu-Voche haben im Vergleich zum Tenore identische Charakteristiken. Der Bass und die Contra des Tenore haben einen Klang, der aus dem Rachen heraus variiert wird. Dies geschieht bei den gleichen Stimmen der Cuncordu aus dem Kehlkopf heraus. Das unterscheidende Merkmal in den zwei Gesangsgebilden wird bestimmt durch die Auswahl der «Verpackung» der beiden Gesetzmäßigkeiten des Gesanges: Die Solostimme bei der Cuncordu singt einen Text, häufig in lateinischer Sprache, und die drei Stimmen des Chores wiederholen die Wörter des poetischen Textes in den jeweiligen Stimmlagen. Die Solo-stimme des Tenore singt einen Text, ausschließlich in sardischer Spra-che, und die drei Stimmen des Chores erzeugen ein musikalisches Gefüge, das auf Tönen ohne sprachliche Bedeutung aufbaut.

Ein nicht weniger wichtiges Unterscheidungsmerkmal war die sozia-le Herkunft der Sänger, die über das Ziel der Mitgliedschaft entschied. Die Cuncordu entstand aus dem Inneren der religiösen Bruderschaften heraus und hatte die Fortführung der Gesänge mit religiösen Texten zum Ziel. Die Tenore entstand unter Freunden, die Lust hatten, zusammen zu singen: Die Einhaltung der grammatikalischen Struktur des Gesanges ist dabei die einzige Vorgabe, Texte und ausführende Formen unterliegen hingegen der Auswahl und Eingebung der Solisten.

Ab den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts nachweisbar, waren die Bruderschaften in jeder sardischen Gemeinde vertreten. Je nachdem, zu welcher Pfarrei sie gehörten, entstanden die Unterschiede. Auf der Basis der bevorzugten Texte für die Hochwürden im Gotteshaus wurde das Repertoire immer wiederbelebt, auch dank des Wettbewerbes, der sich zwischen den Sängern der verschiedenen Bruderschaften ent-wickelte. Ganz gewiss waren die Gründer der Bruderschaften Kirchen-menschen, die außerdem lesen, schreiben und Latein konnten und zu-dem die poetische Dichtung und die Musik kannten. Durch das Lied, welches auf dem volkstümlichen, laienhaften, der Teilnahme freiwilliger Gläubiger offenen Modell aufgebaut war, gelang es der Kirche, breite Bevölkerungsschichten zu erreichen und die christliche Lehre zu ver-breiten, vor allem mit dem Gesang der Gosos.

Den ersten geschichtlichen Beweis für die Existenz des Cantu a Tenore findet man in einer poetisch-satirischen Komposition aus dem Jahr 1682. Seitdem haben einige Sarden Zeugnis davon abgelegt. Dies war vor allem Gegenstand der Neugier sehr vieler ausländischer Be-sucher der Insel. Der Erste (1773) war der Deutsche J. Fuos, der in dem Buch Nachrichten aus Sardinien behauptete: «Wer die Musik in ihrer Wiege kennen lernen möchte, der muss zu den Sarden kommen».

Gemeinsame Charakteristik des Instrumentes Launeddas und des Canto a Tenore ist die grammatikalische Struktur, die sie erzeugen. Der konstante, rote Faden sind die zwei Basisstrukturen im Gedankengut der Sarden: Die Istèrrida und die Torrada. Durch ihre Verwirklichung schließt sich der Kreis, die archetypische Form der Kultur Sardiniens. Die Istèrrida dient der Ausfertigung von Ton, Rhythmus und Sinn. Dort kennt man sich aus, im abwechslungsreichen, poetischen Schaffen, im Tanz, im Gesang und in der Musik sowie in der Volksliteratur. Ihr Takt variiert und hängt von der Inspiration des Ausdrucksschaffenden ab. In einigen poetischen Formen ist sie häufig eine instrumentale Erfindung, nicht die Überbringerin des vollendeten Sinnes. Ihre Ergänzung (wie klingt es) und ihre Sinnvervollständigung (semantische Komponente) wird in der Torrada erreicht, wo sich das Maximum der künstlerischen Erfindung konzentriert und sich die Begründung für die Komposition herauslöst:

Istèrrida: De sa ventana ’e susu Vom höchsten Fenster aus,

Biu duus bois arendi sehe ich zwei pflügende Ochsen

Torràda: Parint is ogus tusu Es scheinen Deine Augen zu sein,

Duus lillus oberendi zwei Lilien, die erblühen

Man bemerkt den Reim der beiden Zweizeiler, aber es gibt keine Be-deutungsübereinstimmung zwischen dem ersten und dem zweiten Vers. In Anbetracht der klingenden Eigenschaft der Reimendungen in der abwechselnden Anordnung, die tatsächlich zueinander passen, könnte man an eine schizophrene Botschaft denken.

In der sardischen Musik ist es somit notwendig, immer beide Strukturen, d.h. Istèrrida und Torrada, zu kennen, wie man in der Passu Torrau sehen kann:

Istèrrida: Trìnta, barànta, chèntu, novantùnu 30, 40, 100, 91

Torrada: Marìtu chèret e no nde li dàna Sie will einen Ehemann, sie
geben ihr aber keinen

Die Anordnung der grammatikalischen Dimension vollendet sich mit der Syntax, die drei Dinge vorsieht: Wiederholung der satzzusammen-stellenden Teile, Aufsplitterung der Sätze oder Satzteile, Vervielfachung der erhaltenen Abschnitte.

Schon an der Art und am Takt, in denen sich die Zusammensetzun-gen des Satzbaus in Gang setzen, kann man den persönlichen Stil des Vortragenden oder des Urhebers des Textausdruckes erkennen, weil die kleinsten Abweichungen, die er vornimmt, seinen Vortrag von jedem anderen unterscheiden.

Auf der Ebene des Gesanges sind die Variationen, die den per-sönlichen Stil des Künstlers ausmachen, die an- und absteigenden Um-stellungen. Diese werden von den Solisten geprägt, die somit für die Verschiedenartigkeit des vortragenden Niveaus verantwortlich sind.

Dank der Fähigkeit der Vortragenden, die sardische Musik mit per-sönlichem Stil neu zu beleben, bewahrt sich diese einen zeitlos musi-kalischen Ausdruck.

Casteddu, März 2003 Andrea Deplano

Aus dem Italienischen von Markus Fritsche

F. Karlinger, «Ricerche sul campo in Sardegna trenta anni fa», in: Bollettino del Repertorio e dell’Atlante Demologico Sardo 11 (1982-83), S. 3-7.

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